Beschlussvorlage - 2025/0109/A61
Grunddaten
- Betreff:
-
Stadtexperiment Bahnhofstraße;
hier: Erfahrungsbericht der Verwaltung
- Status:
- öffentlich (Vorlage freigegeben)
- Vorlageart:
- Beschlussvorlage
- Federführend:
- A 61 - Amt für Planung und Umwelt
- Berichterstattung:
- Herr Dziatzko
Beratungsfolge
Status | Datum | Gremium | Beschluss | NA |
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●
Geplant
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Ausschuss für Stadtentwicklung
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Entscheidung
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29.04.2025
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Sachverhalt
Darstellung der Sachlage:
Die an den Annapark angrenzende Bahnhofstraße bildet sowohl städtebaulich als auch aus Sicht des Einzelhandels und der Gastronomie die Hauptachse der Alsdorfer Kernstadt; derzeit fahren dort ca. 9.000 Kfz pro Werktag. Vor dem Hintergrund des Projekts „RegioTram“ soll die Bahnhofstraße perspektivisch durch den SPNV erschlossen werden. Einhergehend stellt die Umgestaltung zu einer autofreien Geschäftsstraße eine mögliche Verkehrsvariante dar. Im Hinblick auf dieses Szenario fand ein Verkehrsversuch statt, bei dem die Bahnhofstraße im Zeitraum vom 01.08.2024 bis 10.09.2024 für den Kfz-Durchgangsverkehr gesperrt und mit Straßenmobiliar bestückt wird. Die Durchfahrt blieb lediglich für den Bus-, Liefer- und Radverkehr offen.
Vorbereitung und Durchführung des Verkehrsversuchs
Der Verkehrsversuch wurde federführend durch die Verwaltung geplant und durchgeführt.
Neben der verkehrlichen Sperrung der Bahnhofstraße für den Kfz-Durchgangsverkehr wurde die Aufenthaltsqualität für den Fußverkehr verbessert, indem Sitzbänke, Blumenkübel und Veranstaltungsbühnen platziert wurden. Dieses Straßenmobilar wurde kostenlos vom Zukunftsnetz Mobilität NRW, Köln, zur Verfügung gestellt.
Um eine rechtzeitige Reservierung zu erlangen, begannen die vorbereitenden Planungen zur Gestaltung der Bahnhofstraße bereits 1 ¼ Jahr vor dem Verkehrsversuch. Die Lieferung, der Aufbau und die Abholung des Straßenmobilars erfolgten fristgerecht durch das Zukunftsnetz Mobilität NRW; die Abwicklung gestaltete sich unkompliziert und verlässlich.
Straßenverkehrsrechtliche Abstimmung mit Strassen.NRW, ASEAG, Polizei
Ca. ½ Jahr vor dem Verkehrsversuch erfolgten die straßenverkehrsrechtlichen Abstimmungen mit Strassen.NRW als betroffener Straßenbaulastträger angrenzender, klassifizierter Hauptverkehrsstraßen, der Polizei und der ASEAG.
Im Vorfeld war eine von Strassen.NRW geplante Straßensanierungsmaßnahme mit Vollsperrung der L 232 im Bereich Übach-Palenberg bekannt. Da die Umleitungsverkehre u.a. über den Übacher Weg in Alsdorf (L 164) geleitet wurden, wurde der Zeitraum des Verkehrsversuchs so terminiert, dass beide Maßnahmen nicht miteinander kollidierten.
Trotz rechtzeitiger Ankündigungen des Verkehrsversuches wurde dieser durch eine kurzfristige Sanierungsmaßnahme der Prämienstraße (L47) durch Strassen.NRW verkehrlich beeinflusst. Dankenswerter Weise konnte das für die Verkehrsuntersuchung beauftragte Ingenieurbüro (siehe TOP … ) mit zusätzlichen Verkehrserhebungen auf diesen unerwarteten Umstand hin reagieren, um verkehrliche Abweichungen vom Regelbetrieb (keine Sperrung der Prämienstraße) zu berücksichtigen.
Informationsveranstaltung für Gewerbetreibende
Sämtliche Gewerbetreibende der Bahnhofstraße und Rathausstraße wurden zu einer Informationsveranstaltung am 09.04.2024, also ca. 3 Monate vor dem Stadtexperiment, in die Stadthalle eingeladen. Trotz persönlich zugestellter Einladung wurde die Veranstaltung lediglich von wenigen Gewerbetreibenden besucht.
Zunächst wurde in einem Einführungsvortag über die Zielsetzungen und den Ablauf des Stadtexperimentes informiert. Im Anschluss gab es Gelegenheit für Fragen und Anregungen. Hierbei gab es zwar von einigen gewerbetreibenden geringfügige Bedenken, die Grundstimmung in dieser Veranstaltung war jedoch als positiv zu bewerten.
Abstimmung mit Arztpraxen und Privatleuten
In Anbetracht, dass die Erreichbarkeit der Geschäfte für den Lieferverkehr ohnehin vorgesehen und rechtzeitig angekündigt war bestand wenige Wochen vor dem Stadtexperiment lediglich noch Abstimmungsbedarf mit den ansässigen Arztpraxen und einigen wenigen Anwohnern mit Grundstückszufahrt in der Bahnhofstraße.
Das Verkehrsrecht sieht keine Ausnahmen vom allgemeinen Durchfahrverbot für mobilitätseingeschränkte Besucher von Arztpraxen vor. Daher wurden in Abstimmung mit Polizei und Ordnungsamt gesonderte Absprachen mit den Arztpraxen getroffen und zusätzlich in der Presse die Erreichbarkeit der Arztpraxen für mobilitätseingeschränkte Patienten kommuniziert. Etwaige Beschwerden während des Stadtexperimentes seitens der Patienten oder Arztpraxen sind nicht bekannt.
Den wenigen Anwohnern mit Grundstückszufahrt in der Bahnhofstraße wurde eine Ausnahmegenehmigung für die Durchfahrt erteilt. Die Abstimmung mit den Anwohnern und die Abwicklung während des Stadtexperimentes erfolgten komplikationslos.
Verkehrliche Auswirkungen
In Anbetracht der zeitlich begrenzten Experimentierphase wurde aus Kostengründen keine Anpassung der Steuerungsstrategien an den umliegenden Lichtsignalanlagen auf die veränderten Verkehrsbilder an den einzelnen Kreuzungen vorgenommen. Naturgemäß kam es dort aufgrund der Verkehrsverlagerungen in der Alsdorfer Innenstadt für einige Fahrbeziehungen zu Belastungszuwächsen; massive Einschränkungen mit langen Rückstaus verbunden mit inakzeptablen Wartezeiten an Lichtsignalanlagen oder mit Auswirkungen auf die Verkehrssicherheit bleiben jedoch aus. Im Einzelnen wird auf die Ergebnisse der Verkehrsuntersuchung durch das Ingenieurbüro DTV verwiesen, die ebenfalls in dieser Ausschusssitzung vorgestellt werden (Vorlagen Nr. 2025 /0108/A61).
Durch die Verwaltung wurden an insgesamt 10 Terminen über einen Zeitraum von jeweils 2 Stunden die Anzahl der durchfahrenden Kfz, getrennt nach Anliegerverkehr (erlaubte Durchfahrt) und Nicht-Anlieger-Verkehr (unerlaubte Durchfahrt), erfasst. Die Ergebnisse sind in der Anlage 1 dargestellt.
Zu Anfang der Experimentierphase wurden über einen 2-Stunden-Zeitraum ca. 120 unerlaubte Durchfahrten festgestellt; bezogen auf eine Verkehrsmenge von 9.000 Kfz/Tag im Regelbetrieb (ohne Sperrung) sind das ca. 6 %. Nachdem durch die Polizei sporadische Verkehrskontrollen erfolgten, wurde die unerlaubten Durchgangsverkehre auf ca. 50 Kfz/2 Stunden = 3 % gesenkt.
Inwieweit die unerlaubten Durchfahrten bewusst oder unbewusst erfolgten lässt sich anhand der bloßen Zählergebnisse nicht ableiten.
Rahmenprogramm
An den Freitagabenden wurden auf Initiative der Aktionsgemeinschaft Stadtmarketing Alsdorf e.V. nach Vorankündigung kostenlose musikalische Darbietungen im Straßenraum angeboten; insbesondere Außengastronomien konnten von diesen Angeboten partizipieren.
Insbesondere während der Freitagabende kam es anfänglich zu bedenklichen, Verkehrssituationen zwischen Besuchern der Veranstaltungen und den Durchgangsverkehren. Nachdem die unerlaubten Durchgangsverkehre mit Hilfe der Polizei, des ETD, des Ordnungsamtes und insbesondere des THW wirksam unterbunden wurden, konnte dieser Missstand bereinigt werden.
Außerhalb der Rahmenprogramme gab es keine weiteren Veranstaltungen oder Aufwertungen des Straßenbildes, etwa auf Initiative der ansässigen Geschäfte; dennoch konnten bei geeigneter Witterung über den ganzen Tag verweilende Fußgänger und Radfahrer auf den eigens für das Stadtexperiment bereitgestellten Sitzmöbeln beobachtet werden.
Öffentliche Medien
Eine Information der Öffentlichkeit über das anstehende Stadtexperiment, einhergehend mit der Sperrung der Bahnhofstraße, erfolgte unmittelbar vor und zu Beginn der Experimentierphase über die Internetseite der Seite der Stadt und über die örtliche Presse (AZ).
Bereits am zweiten Tag des Stadtexperimentes wurde in einem Presseartikel von der existentiellen Bedrohung eines ansässigen Geschäftes infolge der Sperrung der Bahnhofstraße berichtet.
Drei Wochen später erschien ein weiterer Presseartikel mit der Überschrift „Alsdorfer Stadtexperiment ist gescheitert“.
Die z.T. meinungsbildenden Pressedarstellungen führten zu einer öffentlichen Diskussion über Leserbriefe in der AZ und Beiträge in privaten Facebookgruppen oder auf der städtischen Facebookseite.
Im Ergebnis wurde öffentlich ein sehr vielfältiges und konträres Meinungsbild kommuniziert. Teilweise fiel Kritik konstruktiv aus, teilweise – dies gilt insbesondere für einige Facebookbeiträge – wurde die Kritik sachlich nicht begründet und erfolgte in einer unangemessenen Wortwahl.
Nachbetrachtung
Ca. 1 ½ Monate nach dem Stadtexperiment, am 30.10.2024 fand eine informelle Bürgerversammlung in der Stadthalle statt. Mit Rücksicht auf Berufstätige war der Beginn der Veranstaltung auf 18:00 Uhr terminiert; die Einladung galt allen Bürgern und Gewerbetreibenden.
Mehr als 40 Besucher beteiligten sich an einer regen Diskussion. Da nur zwei Geschäftsleute anwesend waren, blieb dieser Interessenskreis leider unterrepräsentiert.
Im Ergebnis war das Meinungsbild sehr vielseitig; im Gegensatz zu den o.a. öffentlichen Äußerungen während des Stadtexperimentes gab es ausschließlich sachlich begründete und konstruktive Kritik aber auch viel Lob.
Zu Ende der Veranstaltung wurde ein Meinungsbild des gesamten Plenums zu den Rubriken „Was war gut?“, „Was kann verbessert werden?“ und „Was war schlecht?“ eingeholt. Die Teilnehmer hatten Gelegenheit hierzu Stichworte auf Notizzetteln abzugeben. Nachstehend sind die Ergebnisse dargestellt:
Was war gut?
- Verkehrsfluss im Umfeld, die Fahrbahn konnte gefahrlos überquert werden
- funktionierende Umleitungen
- Einschränkung des Verkehrs
- Radverkehr entspannter
- Aktivitäten und Feste am Wochenende
- Radwege waren nicht blockiert von parkenden Pkws oder Lkws
- entspanntes Wechseln der Straßenseite
- bessere Kommunikation zwischen den Einzelhändlern
- tolle Gespräche geführt
- erheblich weniger Lärm; bessere Luftqualität; Aufenthaltsqualität ist gestiegen
- gute Luft
- weniger Lärm; bessere Luft
- gestiegene Aufenthaltsqualität
- Mut der Stadt Alsdorf, Innovation
- Veranstaltungen am Wochenende
- Ruhe/geringe Geräuschkulisse, Nutzung der Straße als Fußgänger,
- keine Abgase
- Aufenthaltsqualität
- Bessere Aufenthalts- und Lebensqualität
- Mobiliar
- Lärmbelästigung war geringer
- Bummeln; Einkaufen
- Bessere Luft in der Innenstadt, weniger Verkehrslärm
- Ruhe
- Entwicklungspotential zu sehen
- Mobiliar gut genutzt
- Mut für Innovation
Was kann verbessert werden?
- Geschwindigkeit reduzieren
- Reduzierte Geschwindigkeit für Busverkehr
- Tempo auf 20 km/h verringern
- Beruhigung der Bahnhofstraße im Allgemeinen
- Spielstraße
- Vorschlag Einbahnstraße vom Denkmalplatz Richtung Kaufland vom Weiher bis Kaufland im weiteren Verlauf gesperrt
- Einbahnstraße?
- Vielleicht Bahnhofstraße zur Anliegerstraße
- Nur noch Anliegerverkehr
- Möblierung weg von Radweg, mehr in die Straßenmitte Straße sollte Mischfläche werden, d.h. Spielstraße
- Vorschlag Verkehrsführung in Form von Schlangenform
- Bessere Beteiligung der angesiedelten Geschäfte „Aktionen nach außen“
- Öffentliches WC in der Innenstadt (Bahnhofstraße und Umfeld)
- Keine radikale Lösung; schrittweise: erst Einbahnstraße mit Zone 30 dann erst evtl. Vollsperrung; Bushaltestelle in der Bahnhofstraße entfernen, Bushof reicht
- Zeitspanne des Experiments vielleicht besser zu einer anderen Jahreszeit
Was war schlecht?
- 21 Busse in 30 Minuten
- Busverkehr war störend
- Geschwindigkeit der Busse
- Busverkehr
- Hohe Busfrequenz
- Konflikte im Straßenraum Bus/Rad/Möbel
- Fahrrad- und Rollerfahrer nutzten weiterhin den Bürgersteig
- Geschäftsleute haben keine Aktionen geplant, z.B. Verteilung Obst, Gemüse, Duftproben, Bachwaren
- verbaute Radwege
- Fahrradfahrer keine Akzeptanz
- Alsdorf wurde umfahren und verschiedene Ortsteile wurden vom Verkehr überrollt.
- Schlecht war, dass der Versuch während der Sommerferien durchgeführt wurde. Denn während der Ferien gibt es nicht realistische Verkehrsströme.
- Wegfall von nahen Parkplätzen
- schlechte Ausschilderung am Alsdorfer Weiher
- Störungen durch PKW-Verkehre
- Immer noch zu viele Autofahrer, die auch noch zu schnell fahren
- Kein Schild am Beginn der Würselener Straße am Abzweig Kurt-Koblitz-Ring
- Beschilderung nicht ausreichend
- Möblierung wurde versteckt hinter Warnbaken
- Möblierung verschönerte nicht das Straßenbild
- Fehlende Kommunikation mit der Bevölkerung
- Finanzielle Schwierigkeiten für Einzelhändler
- Geschäfte haben die Möglichkeit nicht genutzt
Die vorstehenden Notizen zeigen, ebenso wie die vorangegangene Diskussion, ein sehr vielseitiges Meinungsbild, geprägt von unterschiedlichen Wahrnehmungen des Stadtexperimentes mit Sperrung der Bahnhofstraße.
Die Kritikpunkte, die Anregungen aber auch die vielen Zustimmungen können wichtige Erkenntnisse für eine zukünftige dauerhafte Umsetzung einer Sperrung der Bahnhofstraße liefern. Insbesondere die Rückmeldungen der Aktionsgemeinschaft Stadtmarketing, die während des gesamten Zeitraums des Experiments im engen Austausch mit den Geschäftsleuten stand, relativieren die Aussagen in den öffentlichen Medien über existenzbedrohende Umsatzeinbußen. Hier zeichnen die Rückmeldungen ein Bild, dass es zwar vereinzelt über den gesamten Zeitraum des Experiments Umsatzeinbußen gab, bei der überwiegenden Mehrheit jedoch nach einem anfänglichen Rückgang sich die Umsätze wieder im Normalbereich bewegten. In diesem Zusammenhang gilt es auch nochmal zu erwähnen, dass kein einziger Geschäftstreibender das Experiment durch Sonderaktionen etc. als Chance genutzt hat.
Ferner bleibt festzuhalten, dass die Stellungnahmen der Teilnehmer des o.a. Nachbetrachtungstreffens am 30.10.2024 darauf schließen lassen, dass eine Sperrung der Bahnhofstraße städtebaulich zu begleiten ist; bei der Neugestaltung des Straßenraums ist auch der Radverkehr bzw. Busverkehr so zu lenken, dass keine Nutzungskonflikte bzw. Störungen zwischen Fuß-, Rad- und Busverkehr entstehen.
Abschließend ist daher eine potentielle Sperrung der Bahnhofstraße aus Sicht der Verwaltung erst dann zielführend, wenn das Projekt „RegioTram“ in die Umsetzung geht. Eine kosten- und personalintensive Umplanung/Umgestaltung des öffentlichen Raumes zur Verbesserung der Aufenthaltsqualität erscheint daher zum jetzigen Zeitpunkt nicht sinnvoll, da im Zuge der Projektierung der RegioTram die Bahnhofstraße ohnehin „neu gedacht“ werden muss.
Darstellung der Rechtslage:
entfällt
